Wenn Pflegeheime verlangen, dass Bewohner:innen für die Freitodbegleitung das Haus verlassen

Ein ehrenwertes Haus?

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Viele werden sich noch an den Schlager von Udo Jürgens aus den 1970er Jahren erinnern. Ein Paar, das den Moralvorstellungen der Mitbewohner:innen eines Mietshauses nicht entsprach, wurde aufgefordert, das "ehrenwerte Haus" zu verlassen. So ähnlich mag es manchen Heimbewohner:innen gehen, die eine Freitodbegleitung planen und dann von ihrer Heimleitung oder dem Träger eine ähnlich unerfreuliche Nachricht erhalten: "Sie müssen sich einen anderen Ort für Ihre Freitodbegleitung suchen". Hier erhebt sich eine Einrichtung über das Selbstbestimmungsrecht eines Bewohners oder einer Bewohnerin.

Wer das Glück hat, die eigene Wohnung noch nicht aufgegeben zu haben oder hilfsbereite Angehörige hat, wird "nur" mit seiner Verärgerung oder gar Empörung zu kämpfen haben. Wer dieses Glück nicht hat, wird eher in tiefe Verzweiflung fallen. Manchmal gibt es doch eine Lösung und es wird ein Ort gefunden, an dem die Freitodbegleitung stattfinden kann. In anderen Fällen werden die Heimbewohner:innen nicht zu ihrem Recht kommen und zum Weiterleben verdammt sein.

Dürfen stationäre Einrichtungen ihren Bewohner:innen untersagen, dass sie ihr Recht auf selbstbestimmte Lebensbeendigung mithilfe Dritter in ihrem angemieteten Raum ausüben?

Rechtsexperten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Prof. Dr. Stephan Rixen, Rechtswissenschaftler an der Universität Köln und Mitglied des Deutschen Ethikrates, bejaht die Frage. Er hat im Februar 2023 einen Fachaufsatz veröffentlicht, in dem er zu dem Ergebnis kommt, dass kirchliche, insbesondere katholische Träger sich auf ihr sogenanntes Selbstbestimmungsrecht berufen und damit ihren Bewohnerinnen und Bewohnern eine Freitodbegleitung in der Einrichtung untersagen können. Man versteht diese Position nur und kann sie richtig einordnen, wenn man weiß, dass Rixen seit 2016 Berater der "Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen" der Deutschen Bischofskonferenz ist.

Pia Dittke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Rechtsphilosophie und Medizinrecht der Universität Münster. In einem Aufsatz für die Fachzeitschrift PflegeRecht hat sich Dittke bereits im März 2023 mit dieser Frage auseinandergesetzt und kommt zu dem Schluss, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch in stationären Pflegeeinrichtungen gilt. Öffentliche wie private stationäre Pflegeeinrichtungen müssten diesem Recht gerecht werden, "anstatt den Bewohner:innen die einrichtungseigene Version des richtigen Sterbens aufzuzwingen oder sie aus der Einrichtung zu verdrängen". Sie betont, dass Pflegeheime ihren Bewohner:innen nicht verbieten dürfen, Suizidhilfe im eigenen Zimmer in Anspruch zu nehmen. Regelungen im Vertrag oder in der Hausordnung, die dieses Recht einschränken, seien unwirksam. In einigen Fällen erfordere das Selbstbestimmungsrecht einiger Bewohner:innen sogar eine aktive Unterstützung durch die Pflegekräfte, um die Verwirklichung dieses Rechts zu ermöglichen. Gemeinsam mit Prof. Dr. Thomas Gutmann hat Dittke nun in der Fachzeitschrift GesundheitsRecht eine überzeugende Gegenrede zu Rixen veröffentlicht. Diese kommt zu einem eindeutigen Ergebnis:

"Der von Rixen proklamierte Vorgang des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts kann einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhalten; ... Umfängliche Verbote von Suizidassistenz in stationären Pflegeeinrichtungen haben keine rechtliche Grundlage. Sie würden Bewohner:innen isolieren, statt sie sinnvoll vor Autonomiedefiziten zu schützen, vor allem aber ihre Grundrechte auf Wohnung und auf Selbstbestimmung im Sterben aushebeln."

International bewegt sich etwas in Richtung Freitodbegleitung in Pflegeheimen

Der Zugang für Freitodhelfende zu stationären Einrichtungen ist nicht nur hierzulande ein Problem. In der Schweiz entschieden sich in letzter Zeit einige Kantone, auch von privaten Trägern zu verlangen, dass sie Freitodbegleitungen in ihren Einrichtungen zulassen. Die Schweiz macht also Fortschritte. Inzwischen gehören Solothurn, Waadt, Neuenburg und Wallis zu den Kantonen, die gesetzlich festgeschrieben haben, dass alle Alters- und Pflegeheime Freitodbegleitungen zulassen müssen. Im Kanton Zürich wurde zu diesem Zweck eine Initiative von DIGNITAS und EXIT ins Leben gerufen, im Kanton Genf ist ein Referendum mit demselben Ziel auf den Weg gebracht.

In Kanada ist die Pflicht zur Möglichkeit von Sterbehilfe in Palliativeinrichtungen im Gesetz festgeschrieben. Dagegen wehrt sich die Erzdiözese Montreal. Beim katholischen Nachrichtendienst kath.net liest man online:

"Erzdiözese Montreal kämpft vor Gericht für Ausnahme vom Euthanasiegesetz

... Die Provinz Quebec, deren Hauptstadt Montreal ist, hat im Dezember ein Gesetz beschlossen, welches alle Palliativeinrichtungen dazu verpflichtet, medizinische Hilfe bei einer Euthanasie zu leisten. Diese ist in ganz Kanada legal. Das Gesetz verstoße gegen die Religionsfreiheit und sollte für verfassungswidrig erklärt werden, heißt es in der Anfechtungsklage, welche die Erzdiözese Montreal eingebracht hat.
Eine Folge des neuen Gesetzes ist, dass Handlungen, die für uns moralisch nicht akzeptabel sind, in unseren Einrichtungen stattfinden sollen, stellte Erzbischof Lépine in einer Stellungnahme am 6. Februar fest."

Dass es auch anders geht, zeigt das EU-Mitgliedsland Spanien. Dort wurde die Pflicht zur Sterbehilfe für alle Einrichtungen des Gesundheitswesens gesetzlich verankert. Alle Einrichtungen müssen auf Wunsch und bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen Sterbehilfe leisten. Einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können sich auf ihr Gewissen berufen und aus diesem Grund die Mitwirkung an der Sterbehilfe ablehnen. Die Einrichtungen müssen gegebenenfalls bei Neueinstellungen darauf achten, dass immer genügend Mitarbeitende in der Einrichtung arbeiten, die zur Sterbehilfe bereit sind.

Kürzlich berichtete ein Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) von einem solchen Fall in einer bekannten Familie, die in Spanien lebt. Ein Familienmitglied war an Krebs erkrankt, die Krankheit war schon weit fortgeschritten, als ihm im Krankenhaus eine palliativmedizinische Behandlung oder alternativ aktive Sterbehilfe angeboten wurde. Das Familienmitglied habe sich nach umfassender Aufklärung für die Sterbehilfe entschieden. Es sei schließlich ein sehr schönes und friedliches Sterben im großen Kreis der Familie und Freunde gewesen.

Leider sind wir in Deutschland noch nicht so weit. Und so bleibt für uns die zentrale Frage: Was tun, wenn stationäre Einrichtungen den assistierten Freitod in ihren Räumen verbieten?

Die DGHS unterstützt Klagen, die ein Recht auf Freitodbegleitung
in einer stationären Einrichtung in katholischer Trägerschaft durchsetzen wollen. Voraussetzung ist, dass die Klägerin oder der Kläger an einer fortschreitenden Krankheit leidet, deshalb in Zukunft eine Freitodbegleitung wünscht, aber diese noch nicht sofort umsetzen möchte und in einer stationären Einrichtung in katholischer Trägerschaft lebt, die eine Freitodbegleitung im Haus nicht zulässt. Die DGHS will ein Grundsatzurteil erwirken.
Wer sich in einer solchen Situation befindet und bereit ist, sein Recht einzuklagen, kann sich an die Geschäftsstelle der DGHS (hls[at]dghs.de) wenden.

Der Text erschien zuerst im DGHS-Magazin Humanes Leben Humanes Sterben Ausgabe 2024-2.

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