Es ist Sommer 2023. Im niedersächsischen Oldenburg ist die Messe EinsSein – für Gesundheit, Spiritualität und Begegnung – zu Gast in den städtischen Weser-Ems-Hallen. "Highlight" ist laut Mitteilung der Veranstalter der Artha Buchdienst, die nach eigenen Angaben größte reisende Buchhandlung für Esoterik im deutschsprachigen Raum. Der Buchdienst nimmt die gesamte Ausstellungsfläche im Erdgeschoss ein. Geschäftsführer Oliver F. steht zwischen 2.000 Büchern, wie er sagt. Neben Titeln zu Selbsthilfe, Reiki und Yoga liegen auch zwei Bücher der Anastasia-Reihe. Die sind ein Fall für den Verfassungsschutz.

Die Serie verbreitet laut Bundesamt für Verfassungsschutz antisemitische Vorurteile sowie "demokratiefeindliche und rassistische Inhalte". Sie ist das ideologische Fundament der völkisch-esoterischen Anastasia-Bewegung, die die Behörde als rechtsextremen Verdachtsfall einstuft und bundesweit beobachtet.

Artha ist Dauergast auf allen größeren Esoterikmessen und in der Szene bestens vernetzt. Die Versandbuchhandlung aus dem Allgäu hat nach eigenen Angaben seit 2006 auf über 550 Messen ausgestellt – im Schnitt 30 pro Jahr. Auch in Österreich, der Schweiz, Liechtenstein und Südtirol ist die Buchhandlung unterwegs.

Türöffner für rechte Ideologien

Immer im Gepäck: ein Sammelsurium an extremistischer Literatur. In der Auslage liegen auch Bücher des vom Verfassungsschutz als "rechtsextremistischen Esoteriker" eingestuften Jan Udo Holey, Künstlername Jan van Helsing. Die ersten beiden Bände seiner Reihe Geheimgesellschaften sind in Deutschland und der Schweiz verboten. Artha verkauft auf der EinsSein-Messe Band drei: Krieg der Freimaurer. Das Buch behandelt "die Neue Weltordnung" und "die Bedeutung von Ritualmorden und Kinderblut" – klassische antisemitische Codes. In einem anderen Buch Holeys, das ebenfalls auf der Messe verkauft wird, steht, man könne "den Hass der Deutschen" auf die Juden "logischerweise auch nachvollziehen".

Ebenfalls im Programm: Bücher des extrem rechten Kopp Verlags, des international bekannten Antisemiten David Icke und verschiedene Werke der Reichsbürger-Bewegung. Eine Auswahl an Büchern zum angeblichen Überleben Hitlers in Argentinien, dem 11. September, der Coronapandemie und anderen kruden, teils offen antisemitischen Verschwörungstheorien runden das Angebot ab.

André Aden vom Bundesverband der Mobilen Beratung, der Betroffene beim Umgang mit Rechtsextremismus berät, ist nicht überrascht. Der Verband hatte schon öfter mit dem Thema zu tun: Buchhändler, die neben augenscheinlich unverfänglichen Werken auch "rechtsoffene bis extrem rechte Inhalte" anbieten, betätigten sich "seit Jahren bundesweit als eine Art Türöffner für extrem rechte Ideologien".

In Oldenburg auf die Anastasia-Reihe, deren Autor den Juden eine Mitschuld am Holocaust gibt, angesprochen, sagt Artha-Geschäftsführer Oliver F., dass er die Bücher und deren Inhalte kenne. Der Verkauf sei für ihn Ausdruck seiner Meinungsfreiheit. Der These zum Holocaust widerspricht er nicht, was er auf schriftliche Nachfrage bedauert.

Messen distanzieren sich nicht

Für 2024 hat Artha 23 Messetermine bei fünf verschiedenen Veranstaltern inklusive der EinsSein-Messe angekündigt. Die Messen halten dem Buchdienst trotz seines Angebots weiter die Treue. Peter Schützler, Veranstalter von EinsSein, erklärt, dass seine Messe weltoffen sei, es aber immer schwierig sei, Antisemitismus zu erkennen. Er arbeitet weiter mit Artha zusammen, die genannten Bücher solle Oliver F. in Zukunft aber weglegen.

Ähnlich reagieren andere Messen. Die Lebensfreude-Messe etwa, die in diesem Jahr noch in Travemünde und Hamburg gastiert, prüft laut Geschäftsführerin Britta Gerdes-Petersen den Sachverhalt: "Bisher leben wir allerdings in einer Demokratie, die auf Meinungsfreiheit setzt." Sie wurde erst letztes Jahr in einem Format des ZDF mit den Verbindungen von Esoterik und Rechtsextremismus konfrontiert. Damals wollte sie sich ausdrücklich nicht von esoterischen Rassetheorien distanzieren.

Die Spiritualität & Heilen, die in Großstädten in ganz Deutschland und in Österreich Station macht, reagierte nicht auf eine Anfrage. Geschäftsführer Franz Prohaska weiß seit mindestens 2018 von dem fragwürdigen Sortiment und arbeitet weiter eng mit Artha zusammen. Die Messe wirbt auf ihrer Seite für Artha als einzigen Experten für Esoterikbücher. Nach mehrjähriger Berichterstattung durch den österreichischen Standard verzichtet Artha zumindest auf der Spiritualität & Heilen in Wien freiwillig auf die problematischsten Bücher.

Viele der Veranstaltungsorte, bei denen sich die Esoterikmessen einmieten, sind in öffentlicher Hand. Deshalb sind sie nach eigenen Angaben aus Neutralitätsgründen gezwungen, Artha ausstellen zu lassen. So erklärt die Leitung der Liederhalle Stuttgart: "Das bedeutet, dass wir an den Veranstalter vermieten müssen, sofern dieser nicht gesetzlich verboten ist. Das gebietet die Rechtsprechung." Laut der Mobilen Beratung könnte eine Hausordnung, die rassistisches und antidemokratisches Propagandamaterial verbietet, in solchen Fällen helfen.

In Oldenburg gibt es die – eigentlich. Oberbürgermeister Jürgen Krogmann (SPD) erklärt, dass ihm trotzdem die Hände gebunden seien. Jede Handlung vonseiten der Stadt wäre undemokratische "Selbstjustiz". Außerdem würden Autoren wie Holey oder die Anastasia-Bewegung lediglich aus dem "vermeintlich rechtsextremen und rechtsextremistischen Umfeld" kommen. Die Stadtverwaltung nehme den Sachverhalt aber "sehr ernst".