Sechs Tage vergingen, bis sich AfD-Chefin Alice Weidel öffentlich zur Correctiv-Recherche über das Treffen in Potsdam äußerte. Politiker der Partei hatten sich im vergangenen November mit vermögenden Unternehmern, Mitgliedern der WerteUnion und rechtsextremen Aktivisten wie Martin Sellner getroffen. Zwar wütete Weidel gegen die Berichterstattung – eine "inszenierte Schmutzkampagne" und "einen der größten, ungeheuerlichsten Medien- und Politikskandale der Bundesrepublik Deutschland". Doch schon kurz zuvor hatte sie sich auch gezwungen gesehen, Konsequenzen zu ziehen. Ihr langjähriger Referent Roland Hartwig war ebenfalls in Potsdam. Die Zusammenarbeit endete daraufhin "in beiderseitigem Einvernehmen".

Nach außen mag sich Weidel durch die Trennung Luft verschafft haben, in der Partei dagegen sind nicht alle damit einverstanden. Auch neurechte Medien äußern Kritik. "Nichts kapiert" habe der AfD-Bundesvorstand, stattdessen rutsche er "zunehmend in die Fahrspuren der alten Parteispitze ab", schreibt Michael Scharfmüller, Herausgeber der rechtsextremen Zeitschrift Info-Direkt. Die "Angst vor einem Parteiverbot" schwäche das "Immunsystem der Partei", was sich in den letzten Wochen durch die Ausbreitung des "Distanzeritis-Virus" bemerkbar mache. Auch der Rechtsextremist Götz Kubitschek, Verleger des Verlag Antaios, klagt auf dem Blog der neurechten Zeitschrift Sezession, die Trennung sei "Altparteienverhalten" und liefere "dem Gegner Munition".

Als Beispiel dafür, wie man stattdessen handeln sollte, nennen Scharfmüller und andere das Vorgehen des AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Wenzel Schmidt. Schmidts Mitarbeiter, der Neonazi Mario Müller, soll beim Treffen in Potsdam zum Thema Linksextremismus referiert haben. Anders als seine Parteichefin sieht Schmidt in der Teilnahme jedoch keinen Grund, sich von seinem Mitarbeiter zu trennen. Er ist überzeugt davon, dass diejenigen, die jetzt auf Distanz gehen und "linken Hetzkampagnen" nachgeben, das Spiel des Gegners mitspielen. Es werde versucht, "das Vorfeld von der Partei zu isolieren, um es zu erschlagen", daher müsse man "zusammenhalten".

Im Konflikt mit den Unterstützern

Das von Schmidt angesprochene Vorfeld setzt sich aus Aktivisten, Medien, Verlagen und Denkfabriken zusammen. Die Frage, wie die AfD mit ihrem Vorfeld zusammenwirken sollte, beschäftigt die Neue Rechte bereits seit Jahren. Benedikt Kaiser, Redakteur der Sezession, plädiert in dem Buch Die Partei und ihr Vorfeld dafür, "eine loyale und damit tragfähige Verzahnung mit den Vorfeldstrukturen" einzugehen, und betont die Wichtigkeit eines "arbeitsteiligen, handlungsfähigen und solidarischen patriotischen 'Mosaiks'".

"Aus aktuellem Anlass" verwies Kaiser im Anschluss an die Enthüllung auf sein Buch und empfahl einzelnen AfD-Politikern die Lektüre. Eine von ihnen, die Berliner AfD-Vorsitzende Kristin Brinker, besuchte im Sommer eine Buchvorstellung, an der auch Kubitschek und Sellner teilnahmen. Nachdem Brinker deshalb öffentlich in die Kritik geriet, hieß es, sie habe das Treffen vorzeitig verlassen, auch weil sie "geschockt war über das Publikum". Sie distanzierte sich von den damals Beteiligten aus dem Parteivorfeld – das wiederum sorgt dort für Unmut.

Auch die Remigration ist umstritten

Mit dem Treffen hat es auch ein Unwort in die breite öffentliche Diskussion geschafft: Remigration. Dabei ist der Begriff keineswegs neu. Rechtsextreme nutzten das Wort, das eigentlich aus der Soziologie stammt, schon seit einiger Zeit für ihre Propaganda, erklärt Christoph Schulze, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien. Die Idee der Remigration werde zunehmend auch international "als kompakte Formel zur rechtsextremen Deutung der Gegenwart mitsamt Lösungsangebot" verbreitet – verbunden mit der Verschwörungserzählung des großen Austauschs, laut dem die europäische Gesellschaft angeblich gezielt durch Einwanderer ersetzt wird.

Wenn es opportun ist, werde der Gehalt des Worts in der Öffentlichkeit verharmlost. Schulze weist darauf hin, dass eine "konsequente Remigration" auf "millionenfache Deportationen, Gewalt und Drangsalierungen" hinauslaufe. Selbst in der AfD ist das Konzept nicht unumstritten. Hans-Thomas Tillschneider, AfD-Abgeordneter in Sachsen-Anhalt, kritisierte vor wenigen Tagen in einem Artikel auf der Website des Freilich Magazin, Remigration würde unter anderem die "geopolitischen Voraussetzungen von Migration" konsequent ausblenden, sie biete "keinen Ausweg".

Dennoch zeichnet sich ab, dass der Begriff die AfD-Wahlkämpfe in den kommenden Monaten prägen wird. "2024 muss das Jahr der #Remigration werden!", schrieb die Bundespartei vor Kurzem auf Instagram. Die Fraktionsvorsitzenden der ostdeutschen Landesverbände bezeichneten die Idee in einem gemeinsamen Statement als "das Gebot der Stunde". Martin Sellner, dessen Buch Remigration. Ein Vorschlag demnächst im Verlag Antaios erscheint, spricht von einer "Gratiswerbung für die wichtigste Idee des 21. Jahrhunderts".

Auch Christoph Schulze geht davon aus, dass sich "rechtsextreme Bücher" zum Thema "gut verkaufen" werden. Das Wort sei durch die Correctiv-Recherche und die folgende Diskussion "in seiner brutalen tatsächlichen Bedeutung erkennbar" geworden. Die Folge: Hunderttausende, die auf den Straßen demonstrieren, sich die Propaganda nicht gefallen lassen – in einer Einigkeit, die die AfD dieser Tage vermissen lässt.