Als der Käfig in den Saal gefahren wird, ist die Stimmung am Siedepunkt: Ein Minitraktor zieht eine Drahtkonstruktion vorbei am klatschenden Publikum, darin mimen eine Handvoll Darsteller die Gefangenen: Olaf Scholz, Ricarda Lang und andere hier verhasste Politikerinnen und Politiker, erkennbar an Fotos auf den Gesichtern. "Da sind sie, die üblen Gestalten", ruft der Moderator ins Mikrofon und fragt: "Wollen wir sie zum Teufel jagen?" Das Publikum grölt im Chor laut "Ja!" und ein als Pastor verkleideter Mann greift zur Mistgabel.

Die Szene ist nur einer von zahlreichen skurrilen Momenten beim politischen Aschermittwoch im thüringischen Ronneburg nahe Gera. Anders als bei sonstigen Veranstaltungen dieser Art, zu der Parteien ihre Mitglieder einladen, kam dort eine Mischung aus Reichsbürgern, Anhängern der rechten Kleinpartei Freie Sachsen und anderen Rechtsextremisten zusammen. Eingeladen war auch der Rechtsextremist Martin Sellner, der am Potsdamer AfD-Treffen teilgenommen hatte – doch der als Stargast angekündigte Österreicher musste aus gesundheitlichen Gründen absagen. Per Video schickte er eine Grußbotschaft in den Saal und lobte das braune Fest: "Was ihr da aufgebaut habt, ist der Wahnsinn!"

Rund 350 Teilnehmer sind auf Einladung des rechtsextremen Vereins Aufbruch Gera nach Ronneburg gekommen. Das Treiben spielt sich nicht etwa in einer versteckten Szenelokalität ab, sondern in der Bogenbinderhalle, der städtischen Veranstaltungshalle der Kleinstadt – und das nicht zum ersten Mal.

Bürgermeisterin schweigt

Schon 2023 hatten Rechtsextreme in die Bogenbinderhalle eingeladen. Jürgen Elsässer, Herausgeber des rechtsextremen Compact-Magazins, dankte der Bürgermeisterin Krimhild Leutloff (CDU) damals dafür, dass sie sich der "Verbotskultur" widersetze. Was die Politikerin dazu bewog, dem rechtsextremen Treiben freien Lauf zu lassen, blieb auch damals unklar. In diesem Jahr hüllt sich Leutloff ebenfalls in Schweigen: Auf Anfragen von ZEIT ONLINE reagiert sie nicht.

Auch in diesem Jahr lockt Ronneburg einige der umtriebigsten Rechtsextremisten in die Region: "Ich freue mich sagen zu können, dass heute ausschließlich Menschen auf der Bühne stehen, die eine staatliche Auszeichnung haben, die besser kaum sein könnte", sagt Michael Brück, langjähriger Neonazi-Kader und Medienstratege der Freien Sachsen. "Sie sind staatlich anerkannte und vom Verfassungsschutz beobachtete Rechtsextremisten", verkündet er stolz. Das Publikum antwortet mit Applaus.

Die Aufnahmen von der Veranstaltung zeigen Flaggen verschiedener rechtsextremer Organisationen in der städtischen Halle. Plakate des Compact-Magazins sind im Außenbereich des kommunalen Geländes angebracht. Gegenüber der Bogenbinderhalle protestieren rund hundert Menschen gegen das Treiben. Für das Bündnis Gera gegen Rechts ein Erfolg: "Ronneburg ist eher schwierig, was das politische Engagement im demokratischen Spektrum angeht", sagt ein Sprecher des Bündnisses. Seinen richtigen Namen möchte der junge Mann nur ungern in der Öffentlichkeit nennen. Zu groß ist die Sorge, ins Visier der Rechtsextremisten zu geraten, die hier im Osten Thüringens besonders aktiv sind.

SA-Parolen und Arbeitslager-Sprüche

"Wir sind die Normalen, das dürfen wir nie vergessen", versichert Neonazi Brück derweil im Inneren der Halle seinem Publikum. Was offenbar zu dieser Normalität gehört: Rassismus, Umsturzfantasien und NS-Parolen. Schon zur Eröffnung hatten zwei Mitglieder der Freien Sachsen als Salafisten verkleidet rassistische Büttenreden gehalten. Einer skandierte die verbotene SA-Parole "Alles für Deutschland". Andreas Kalbitz, der ehemalige Landeschef der AfD in Brandenburg, streut in seiner Rede Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Wahlen: "Die können aus sechs Prozent 4,9 machen."

André Poggenburg, ebenfalls früherer AfD-Kader, wünscht sich in seiner Rede ein Ende der Ampelregierung, "notfalls auch ein Ende mit Knall und Rauch". Er erinnert an die Pandemiezeit und anderes vermeintliches Leid am Volk. "Wenn wir all das wirklich mal verurteilen und sühnen wollen, dann brauchen wir jede Menge gut funktionierende Volksgerichte und Arbeitslager", sagt Poggenburg und hält unter Jubel und Applaus eine Mistgabel in die Höhe.

"Dass die Stadt Ronneburg so etwas zulässt, finden wir einfach richtig schlimm", sagt der Sprecher von Gera gegen Rechts. Man fühle sich, wie so oft in dieser Region, vom Staat im Stich gelassen. "Und das von einer Bürgermeisterin, die doch eigentlich dem demokratischen Spektrum angehören sollte", sagt er. Immerhin: Die Polizei ermittelt wegen der Verwendung der SA-Parole auf der Bühne. Dass NS-Parolen konsequent strafrechtlich verfolgt werden, sei hier keine Selbstverständlichkeit.