Reproduktionsmedizin: Ethikrat wünscht sich eine bessere Diskussionskultur

Wissen statt Gewissheit

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Publikum der Veranstaltung am 24. April 2024
Publikum

Reproduktionsmedizin – das ist ein sperriges Wort. Doch Themen wie Abtreibung, Leihmutterschaft oder Eizellspende, die damit gemeint sind, sorgen für aufgeheizte Diskussionen und eine Spaltung in unversöhnliche Lager. Die Debatte, die jüngst nach den Vorschlägen der von der Bundesregierung eingesetzten Expertenkommission zum Thema Schwangerschaftsabbruch entbrannte, zeigt: Solche Fragen haben das Zeug, in eine Art Kulturkampf auszuarten.

Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, erklärt, warum das so ist: "Alle Entscheidungen, die mit Fortpflanzung zu tun haben, sind zutiefst persönlich. Gleichzeitig betreffen sie rechtliche und ethische Prinzipien und werden daher in Gesellschaft und Öffentlichkeit teils sehr kontrovers diskutiert."

"Unterschiedliche ethische Werte können die öffentliche Debatte aufheizen", ergänzt Ethikrat-Mitglied Frauke Rostalski. "Wir wollen einen Weg suchen, die Härte aus der Diskussion zu nehmen, die Debatte zu versachlichen und damit auch den Betroffenen gerechter zu werden." Eben das hat der Ethikrat in einer zweieinhalbstündigen Diskussion nun auch öffentlich getan.

Zu der Podiumsdiskussion hatte das Gremium einen externen Referenten geladen. Klaus Hurrelmann, Experte für Gesundheitskommunikation/Public Health und Bildung an der Hertie School in Berlin, stellt sich die Leitplanken für eine ideale öffentliche Diskussion in diesen Fragen so vor: Bei ethisch stark umstrittenen Themen sei es wichtig, sensibel und respektvoll vorzugehen, um keinen Menschen in seinen Auffassungen zu verletzen oder zu diskriminieren. Die Kommunikation sollte neutral und objektiv sein, ohne eine bestimmte Meinung oder Position zu favorisieren. Fakten und Informationen seien emphatisch, transparent und ausgewogen zu vermitteln, um eine offene Diskussion zu ermöglichen und unterschiedliche Standpunkte zu respektieren. Gleichzeitig sollte die Gesundheitskommunikation emphatisch sein und die Perspektiven aller Beteiligten berücksichtigen. Kulturelle Unterschiede und Empfindlichkeiten seien zu berücksichtigen, um sicherzustellen, dass die Kommunikation für alle Zielgruppen zugänglich und verständlich ist.

Hoch gesteckte und hehre Idealziele, die sich in einer Runde wie dem Forum Bioethik des Ethikrats noch weitgehend erreichen lassen. Da werden höflich und ohne Schaum vor dem Mund Positionen ausgetauscht. Schließlich ist der Ethikrat selbst in den von ihm behandelten Themen keineswegs ein homogenes Gremium. Vorsitzende Alena Buyx verweist etwa darauf, dass es zu einzelnen Themen immer wieder heftige Diskussionen gebe. Mit der Folge, dass in den veröffentlichten Papieren das Pro und Kontra, etwa zum Thema Impfpflicht, ausführlich dargestellt wird. Als Grundlage für politische Entscheidungen. Doch komplexe Themen wie die Reproduktionsmedizin seien nun mal schwer in der Öffentlichkeit zu kommunizieren – in einem 20-Sekunden-O-Ton in einer Nachrichtensendung oder in einem 90-Sekunden-Beitrag in einer Talkshow, sagt Buyx und wünscht sich: "Da müssen die Medienschaffenden dazu kommen, da müssen wir uns irgendwie stärker die Hand reichen."

Die Realität sieht aber eher so aus, wie Ethikrat-Mitglied Wolfram Henn sie beschreibt. Da gebe es eine "öffentliche Empörungsrhetorik bis hin zum Motto, Meinung statt Ahnung." Da gehe es um die Mobilisierung von Wählergruppen und der Selbstvergewisserung innerhalb von Peer Groups. "Ein gelungener ethischer Diskurs braucht aber mehr Wissen und weniger Gewissheit."

Wer der zweieinhalbstündigen Veranstaltung folgt, hat den Eindruck, dass die Hurrelmann-Vorschläge und die Art, solche Themen zu besprechen, durchaus vorbildhaft sein können. Aber ist es nicht naiv zu glauben, dass dies angesichts der so weit auseinanderliegenden Vorstellungen in Fragen der Reproduktionsmedizin gelingt? Eine Zuhörerin bei dem Bioethik-Forum bringt diesen Pessimismus so zum Ausdruck: "Die Diskussion um diese Themen wird nicht so gesittet, so wissenschaftsbasiert, so freundlich, so vernünftig ablaufen, wie wir es heute hier erleben. Ich schätze das sehr, aber das ist weit von der Realität entfernt."

Das Video der Veranstaltung "Reproduktionsmedizin und Diskussionskultur" ist zu sehen auf der Seite des Ethikrats.

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