Taylor Swift

THE TORTURED POETS DEPARTMENT

Republic/Universal (VÖ: 19.4.)

Intimer High-End-Beziehungs- und Lossagungs-Pop, der persönlicher und getragener kaum geschrieben und produziert sein könnte – und das Superstardom seiner Songwriterin angeblich zum letzten Mal zementiert.

Die Geschichte des einflussreichsten Popstars der Welt ist eine Geschichte der Selbstermächtigung und Emanzipation. Aufgrund ihres unbedingten Wunsches, als Musikerin Karriere zu machen, zog ihre Familie mit der damals 14-jährigen Taylor Swift von Pennsylvania in den Speckgürtel Nashvilles. Dort entdeckte sie Scott Borchetta, gründete das Label Big Machine Records und verhalf ihr zum Ruf eines Country-Wunderkinds.

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15 Jahre später hatte sie sich endgültig abgenabelt, und er seine Plattenfirma samt Swifts Mastertapes an Musikmanager Scooter Braun statt an sie selbst verkauft. Ihre sechs so verlorenen Alben als Taylor’s Versions erneut aufzunehmen und zu veröffentlichen, gilt als der vielleicht größte ihrer zahlreichen unternehmerischen Coups. In ihren Songs besang sie einen miesen Journalisten („Mean“) und Trennungen von Jake Gyllenhaal und John Mayer.

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Außerhalb der Millionen Swifties, also Fans, die ihr zu ungeheurer Marktmacht verhalfen, wurde sie, besonders in der noch immer männlich dominierten Musikpresse wie auch in diesem Magazin hier und trotz Features mit Typen wie Future, Brendan Urie (Panic! At The Disco) und Ed Sheeran sowie Produktionen von Jack Antonoff, derweil stets belächelt. Dies änderte sich schlagartig, als erstens der damals noch nicht in selbstverschuldete Ungnade gefallene Ryan Adams ihr Album 1989 unironisch coverte – und Swift selbst 2020 mit solch Indiehelden wie The National und Bon Iver sowie, auf MIDNIGHTS, mit der Säulenheiligen Lana Del Rey zusammenarbeitete. Die produktive Lossagung von Kerlen, die ihr nicht gut tun, findet mit den 16 (!) Songs auf ihrem elften Album in 18 Jahren, THE TORTURED POETS DEPARTMENT – angeblich eine Anspielung auf eine Chatgruppe ihres Ex, des britischen Schauspielers Joe Alwyn – nun einen weiteren Höhepunkt.

Einzigartige Beliebigkeit

Der zurückhaltende Opener „Fortnight“ featuring Sänger und Rapper Post Malone braucht nur dessen zweite Stimme, das einzige weitere Feature „Florida!!!“ ist nach dem flotten „I Can Do It With A Broken Heart“ schon wegen der Stimme von Florence Welch und dem Bass-Crescendo der offenkundigste Hit eines erst auf den zweiten Blick einmal mehr an starken Popsongs nicht armen, aber getragen und völlig untanzbar daherkommenden Albums.

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Geschrieben hat Swift THE TORTURED POETS DEPARTMENT inklusive der zusätzlichen Anthology-Tracks mit Antonoff und The Nationals Aaron Dessner; es sei ihr „Rettungsring“, eines, das so und in dieser Form rausgemusst habe. Inhaltlich umfasse es die psychologische Theorie der fünf Stationen der Trauer: Leugnung, Wut, Verhandlung, Depression und Akzeptanz. Diese emotionale Dringlichkeit steckt in jeder Pore. Im Titeltrack singt sie selbstironisch an ihr Schreibmaschine schreibendes Gegenüber: „You’re not Dylan Thomas, I’m not Patti Smith, this ain’t the Chelsea Hotel, we’re modern idiots“. Das ist popkulturelle Selbstverortung und „Bonny & Clyde“-Antizipierung zugleich.

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Denn ja: In Swift’scher Next-Ex-Boyfriends-Tradition verabschiedet sich die US-Amerikanerin spätestens in „So Long, London“ indirekt von Alwyn. In „But Daddy I Love Him“ rebelliert sie gegen toxische Umfelder, die es nur gut meinen, „Guilty As Sin?“ erinnert auch musikalisch an ihre Country-Anfänge. Mehr denn je aber sind es auf TTPD immer noch die heterosexuellen „He & She“- und „Me & You“-Gemengelagen, „Savior“-Irrglauben und emotionalen Abhängigkeiten, die Swift für eine ihr an den Lippen klebende Generation nach außen kehrt, die die große Liebe vielleicht noch nicht erfahren hat. Ihr anhaltendes Alleinstellungsmerkmal: Wie kein anderer Popstar unserer Zeit schafft sie es auch im Jahr 2024, zwischen Kunst und Kommerz ihre ureigene, ja einzigartige Beliebigkeit, wahlweise aber auch beliebige Einzigartigkeit, zu perfektionieren und auf diesem Level zu halten.

Introspektive und Frühjahrsputz

Ein weiteres Verdienst Swifts ist es, neben wild interpretierbaren Lyrics das totgesagte Albumformat anhaltend in einer Generation hochzuhalten, der es eigentlich nur um Playlists geht und um Songs, die nach 30 Sekunden zum Refrain kommen – THE TORTURED POETS DEPARTMENT kam ohne Vorabsingle daher – und dass sie, der allein auf Instagram über 280 Millionen Menschen folgen, sich nach
Jahren des Haderns öffentlich gegen Trump und die Republikaner stellt. Ihr Privates ist politisch.

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Seit die 14-fache Grammy-Gewinnerin Footballstar Travis Kelce datet, sind die Werbeeinnahmen der NFL und seines Teams explodiert, Memes mit Sprüchen wie „Ich wünschte, Taylor würde einen Klimaforscher daten“ machen die Runde. Nur Swift selbst sieht ihren Stern sinken: Im Unterhaltungsgeschäft unserer Gesellschaft würden Frauen über 35 auf dem Elefantenfriedhof verscharrt, sagte die heute 34-Jährige in der Doku „Miss Americana“. Sie müssten sich ständig und öfter neu erfinden als ihre männlichen Kollegen. Wenn Swift ihr Game weiterhin so professionell und mit so reflektierten Alben wie dem hier bespielt, muss sie sich da keine Sorgen machen. Denn TTPD ist nach Spielereien mit Country, Pop, Rock, Electro, Synthiepop, HipHop und Indiefolk nicht die nächste Evolutionsstufe. Es ist Introspektive, vielleicht aber auch ein innerer Frühjahrsputz. Bei Taytay weiß man zum Glück ja nie.

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