Auf dem Grasser Hof im ostallgäuerischen Aitrang gibt es Biogemüse nach Demeter-Standard, Betreiber Daniel O. versorgt das Allgäu auf Märkten, im hofeigenen Laden, in Supermärkten. Schulen und Kindergärten beliefert er auch mit Obst, Gemüse und anderen biologischen Lebensmitteln. Ein vorbildlicher Betrieb, eins mit der Natur des Ostallgäus, könnte man denken. Doch der Ort, an dem Kohlrabi und Gurken wachsen, ist offenbar auch eine Brutstätte für rechtes Gedankengut.

In einem Werbevideo ist zu sehen, wie O. einen anderen Landwirt über den Grasser Hof führt – Robert B., Gründer des wenige Kilometer entfernten Mutterhofs. B. spricht über die beiden Projekte als "Hofgemeinschaft", in der man einander helfe. Konkret: Leute vom Mutterhof sind bei Grasser angestellt. Der Mutterhof wiederum ist als Landsitzprojekt im Geiste der sogenannten Anastasia-Bewegung konzipiert. Über eine scheinbare ökologische Utopie führt der Mutterhof Menschen an Verschwörungsideologie, Rassismus und Antisemitismus heran und pflegt Kontakt nach rechts außen.

In der Romanreihe Anastasia des russischen Autors Wladimir Megre geht es scheinbar um ein esoterisch-sinnliches Leben in der Natur. Tatsächlich propagieren die Bücher demokratiefeindliche und antisemitische Verschwörungsmythen. Die gleichnamige Bewegung wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft.

Die Abkehr hielt nur kurz

Über den Mutterhof hatte ZEIT ONLINE bereits 2020 berichtet. Demeter-Bauer O. vom Grasser Hof bezeichnete die Zusammenarbeit seinerzeit als "unproblematisch" und behauptete, Mutterhof-Gründer B. habe "mit rechts (…) nichts zu tun". Er selbst habe auch die Anastasia-Bücher gelesen und finde sie gut: "Nur weil da mal irgendwas mit Rassen steht, heißt das ja nichts."

Kurz darauf jedoch distanzierte sich der Grasser Hof mehr oder weniger heimlich dann doch vom Mutterhof. In einer nur intern verbreiteten E-Mail an die Kundschaft schrieb er, er habe "niemals (…) nicht-demokratisches, verschwörungstheoretisches oder gar antisemitisches Gedankengut vertreten" und werde das "in keiner Weise rechtfertigen, unterstützen oder gar fördern". Seine Beteiligung am Bauernmarkt auf dem Mutterhof stelle er ein. Das Werbevideo verschwand vom Kanal des Mutterhofs. O. fürchtete wohl um seine Geschäfte. Und das offenbar zu Recht: Der anthroposophische Bioverband Demeter etwa, dessen Etikett der Grasser Hof trägt, teilt auf Anfrage mit, man werde die Kooperation mit Anastasia-Anhängern abhängig von der Intensität ihrer Verbindung zur Szene einstellen.

Doch so deutlich, wie sich Daniel O. vom Mutterhof und von Anastasia abgegrenzt hatte, ist die Distanzierung offenbar nicht. Das legt ein Gespräch nahe, von dem ein Kunde gegenüber ZEIT ONLINE berichtet. Demnach habe O. in der Unterhaltung eingeräumt, dass Anastasia-Siedler des Mutterhofs, einschließlich Robert B., noch immer bei ihm angestellt sind. Recherchen von ZEIT ONLINE bestätigen das. O. habe von einer finanziellen Grundsicherung für die Anastasia-Anhänger gesprochen. Die ideologischen Hintergründe der Anastasia-Bücher habe er heruntergespielt. Als er ihnen vor 20 Jahren verfiel, habe er darin "ganz wundervolle Ansätze gefunden". Dem Kunden habe er empfohlen, sie selbst zu lesen – und einen persönlichen Besuch auf dem Mutterhof, dem er ab sofort auch im Falle wirtschaftlicher Folgen treu bleibe.

"Einlullen und einwickeln"

Online bekennt sich der Grasser Hof wieder zu seiner Teilnahme am Mutterhof-Wochenmarkt und wird umgekehrt in Seminaren auf B.s Gelände vorgestellt. Beworben werden die Schulungsreihen, die "im Sinn ähnlich orientierte Menschen" vernetzen sollen, 2023 im Hofladen von Daniel O. Damit schlägt er erneut die Brücke von seinem etablierten unverdächtigen Biobusiness zum Anlaufpunkt für Anhänger von Rassenlehre und Reichsbürgerthesen. Weder O. noch B. reagierten auf Anfrage von ZEIT ONLINE.

"Eine typische Anwerbestrategie", heißt es dazu von Matthias Pöhlmann. Der Theologe beobachtet als Sektenbeauftragter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern seit Jahren die rechtsoffene Esoterik und insbesondere die Anastasia-Bewegung. Die Verharmlosungs- und Verschleierungstaktik erkennt Pöhlmann auch in dem Gespräch von O., über das der Kunde auf seinem Hof berichtet. Ein kritischer Umgang mit den höchst problematischen Aussagen oder gar eine Abkehr vom Antisemitismus der Anastasia-Bücher lasse sich "überhaupt nicht erkennen", sagt Pöhlmann. Im Gegenteil würden diese Aussagen "bewusst verschleiert". Stattdessen lenke O. auf rein ökologische Fragen ab und schicke den Kunden auch noch selbst auf den Mutterhof, wo er sich "einlullen und einwickeln" lassen soll, so der Religionspublizist.

Die Masche gehört zum Markenkern der Szene und ist, wie Pöhlmann betont, dem Repertoire des Brandenburger Neonazis Frank Willy Ludwig entlehnt. Auf Strategieschulungen für die Anastasia-Szene, an denen auch etwa Robert B. teilnahm, empfahl Ludwig: Man gründe "etwas Schönes", um sich beliebt zu machen und bezaubere die Öffentlichkeit etwa durch Gesang, Kleidung und Tanz. Dann glaube niemand, man sei "böse". Ludwigs interne Anweisung zur Anastasia-Programmatik indes ist weit weniger bezaubernd: "Kümmert euch um eure Frau. Zeugt Kinder. Schafft euch einen Garten an, fertig. Das ist es doch, was der Führer auch gesagt hat. Blut und Boden. Kraft durch Freude."

Das Innenministerium ist nicht besorgt

Mit dem Blendwerk einer konsequenzlosen Distanzierung beginnt für Pöhlmann, was er die "Strategie der ständigen Vorbereitung" nennt: Als "Lockmittel" nach außen nutze die Szene Ökologie, schöne Bilder und den Mythos um Anastasia. Einmal begeistert, bekommen interessierte Beobachter nicht gleich die volle Dosis Menschenverachtung, sondern werden langsam und beständig tiefer in die Ideologie hineingezogen. Nach demselben Prinzip geben sich die ersten Anastasia-Bände noch zurückhaltender, erst später kommt der ganz offene Antisemitismus dazu. "Das ist gefährlich", sagt Pöhlmann. Denn dadurch komme es zu einer "Dispersion": Das Gedankengut sickert ein in weitere gesellschaftliche Kreise.

Doch ob die Strategie aufgeht, hängt davon ab, ob sich die Gesellschaft von der schönen Fassade einlullen lässt. Die Sicherheitsbehörden in Bayern hatten das Umfeld des Mutterhofs einst im Visier, inzwischen aber das Interesse verloren: "Der Hof im Ostallgäu soll nach eigener Darstellung eine Vorreiterfunktion in einem sozialen, kulturellen, ökologischen und ökonomischen Neuorientierungsprozess als allumfassender Lösungsansatz einnehmen und bei der Gemeinwohlbildung und der Zusammenführung von Landwirten helfen", heißt es dazu in einem aktuellen Papier des Innenministeriums.

Der Behörde lägen demnach "keine Erkenntnisse" über "extremistische" Anastasia-Projekte in Bayern vor. Für Matthias Pöhlmann eine Fehleinschätzung: "Man muss genau hinschauen, wie hier auch Grenzen verschwimmen."